„Das Projekt Europa ist weder am Ende noch am Ziel. Aber wir müssen jetzt zügig handeln“, sagt Lucia Puttrich. Beim Europaempfang in Schloss Biebrich hat die Hessische Europaministerin vor rund 200 Gästen eine „Initiative für Europa“ und zugleich konkrete Reformen gefordert. Dazu zählen eine klare Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten und eine Abkehr vom Prinzip der Einstimmigkeit.
Veranstaltungsreihe
Europaempfang am 01.11.2016 in Wiesbaden

Wir müssen die Herzen und die Köpfe der Menschen für Europa wieder gewinnen. Derzeit mache Europa keine gute Figur. Angesichts einer Vielzahl von Krisen hätten viele Menschen den Eindruck, die EU sei ein Scheinriese, der nur aus der Entfernung groß und stark wirke, aber rasch zusammenschrumpfe.
Scharf kritisiert Puttrich den jüngsten Streit um das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta): „Das zeigt, welche absurden Entscheidungsprozesse wir in Europa manchmal haben. Egal, wie man zu Ceta steht, wenn der Premierminister einer kleinen Region irgendwo in Europa sich zum Chefdiplomat des Kontinents aufschwingt und ein Abkommen nachverhandeln will, dass auf europäischer Ebene verhandelt worden ist, dann läuft was falsch und wir machen uns lächerlich.“ Deutschland habe seit Jahrzehnten gute Erfahrungen mit seiner föderalen Struktur. „Zwischen Bund und Ländern wird verhandelt und nach Kompromissen gesucht. Aber am Ende gibt es eine Mehrheit. Und niemand kann sich hinstellen und erklären: Wenn es nicht genau nach meinem Kopf läuft, geht hier gar nichts mehr.“
Um handlungsfähig zu bleiben und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bestehen, müsse die Europäische Union unter anderem ihre Konstruktionsfehler beseitigen, fordert die Ministerin. Dazu gehöre eine klare Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedsstaaten. „Die Europäische Union muss sich zudem vom Grundprinzip der Einstimmigkeit verabschieden“, sagt Puttrich weiter. „Das hat in den vergangenen Jahren immer wieder zur Blockaden geführt oder zu Kompromissen, die am Ende kaum noch jemand verstanden hat.“ Sie sieht verschiedene Wege, wie man zu Mehrheitsbeschlüssen kommen kann, die die Vielfalt der Mitgliedsstaaten berücksichtigen. Doppelte Mehrheiten zum Beispiel, bei denen nicht nur die Mehrzahl der Staaten zustimmen muss, sondern auch eine Mehrheit der Einwohner erreicht sein muss. Oder eine Stimmengewichtung wie im Bundesrat.

Wir dürfen das Feld nicht den Populisten überlassen, die den Menschen einfache Lösungen vorgaukeln und erzählen, alles werde besser, wenn die Staaten Europas ihre Mauern und Zäune wieder hochziehen. Wir brauchen eine ,Initiative für Europa, denn Europa hat seine Strahlkraft nicht verloren.
Thematischer Schwerpunkt des Europaempfangs war die Raumfahrt. „Wir sind ,Europas Tor zum All‘“, sagte Lucia Puttrich mit Blick auf renommierte internationale Einrichtungen wie das Raumflugkontrollzentrum ESOC und den Wettersatellitenbetreiber EUMETSAT in Darmstadt. In Hessen ist die Raumfahrt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Kaum eine andere Branche vereinigt so viele Hochtechnologien wie die Luft- und Raumfahrt und ist gleichzeitig Innovationsmotor. Um die Bedingungen für die heimische Industrie zu optimieren, engagiert sich die hessische Landesregierung unter anderem in dem 2006 ins Leben gerufenen Centrum für Satellitennavigation Hessen (Cesah) und auf europäischer Ebene im seit 2007 bestehenden Netzwerk NEREUS.
Gastredner des Abends waren Dr. Rolf Densing, Leiter des ESOC in Darmstadt, und der Astronaut Dr. Thomas Reiter. Sie berichteten anschaulich von aktuellen und abgeschlossenen Projekten. „Wir erhalten heute einen Einblick, welche Leistungen Forscher und Entwickler aus Europa und der ganzen Welt in der Raumfahrttechnik gemeinsam vollbringen.“ Vieles von dem, was ursprünglich für den Weltraum entwickelt wurde, ist heute aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Als Beispiele nannte Puttrich das Ceran-Kochfeld oder die Sensoren in Digitalkameras. „Und auch das Navi im Auto würde ohne die Daten aus dem All nicht funktionieren.“